Laura: Willkommen in Saraguro (September 2017)
Die Tatsache, dass mein Kalenderkreuzchen schon auf gutem Wege ist die Novemberzeile zu erreichen, hat mich tatsächlich ein wenig überrascht. Als mir daraufhin jedoch klar wurde, dass meine 12 Monate Freiwilligendienst sich schon auf 10 dezimiert haben, bekam ich das Gefühl, dass ein ganzes Jahr doch recht schnell vorbei gehen könnte. In der Zeit, in der ich nun schon hier in Saraguro lebe, durfte ich auch schon viel erleben. Besonders im Gedächtnis erhalten bleiben wird mir wohl der Abend meiner Ankunft in meiner Gastfamilie.
Kaum angekommen wurde ich auch schon eingeladen, sie auf ein Familienfest zu begleiten, wobei ich einige festliche Traditionen kennen lernte. So durfte ich vom Kochen einer Hühnersuppe über das Braten von Meerschweinchen bis hin zur Zubereitung eines ganzen gegrillten Schweines allem beiwohnen, was ein gelungenes traditionelles Fest in Saraguro ausmacht. Nicht ohne grobe Handarbeit ging dabei die Verteilung des Schweines von statten. Nach dem Festschmaus, der Verköstigung eines typischen Getränkes aus fermentiertem Mais (Chicha) und einigen Reden, trat auch noch eine dorfeigene Band auf. Bei bester Stimmung wurde noch bis in die Morgenstunden das Tanzbein geschwungen. Als ich an den folgenden Tagen meine neue Heimat auch bei Tageslicht in Augenschein nehmen konnte, fiel mir vor allem die wunderschöne Natur auf, die mich umgab. Eingebettet in saftig grüne Hügellandschaften liegt die comunidad Las Lagunas, in der meine Gastfamilie und ich wohnen. Wie viele andere comunidades gehört Las Lagunas zu der Stadt Saraguro, dessen Zentrum in etwa 25 Minuten Fußmarsch erreichbar ist. Hier, abseits des etwas wuseligeren Zentrums, herrscht eine ruhige und friedliche Atmosphäre. Die meisten Häuser werden aus einem Gemisch aus Lehm und Gräsern konstruiert, es wird Obst und Gemüse angebaut und ein paar Kühe oder Schafe gehalten. Noch öfter als im Stadtzentrum wird die traditionelle Tracht der Saraguros auch im Alltag getragen. Besonders gut gefällt mir natürlich die Kleidung der Frauen. Diese besteht zum Einen aus einem schwarzen Unterrock mit bunt bestickter Borte und einem aus Schafwolle gefertigten Überrock, der mit einem ebenfalls kunstvoll bestickten Band zusammen gehalten wird. Zum anderen aus einer je nach Geschmack verzierten Bluse und einer bunten Perlenkette. Teilweise bedeckt wird das Oberteil von einem Stoff aus Schafswolle, der von einer Silbernadel zusammengehalten wird und mich immer ein bisschen an einen zu kurz geratenen Zaubererumhang erinnert. Nicht zu vergessen sind natürlich der weiße Hut mit schwarzen Punkten, sowie auch die komplizierten Flechtfrisuren. Diese werden hier nicht nur von der weiblichen, sondern auch von der männlichen Bevölkerung getragen. Die Tracht der Männer besteht aus einer wadenlangen schwarzen Hose, einem weißen Hemd und einem Poncho, der manchmal mit einem Ledergürtel zusammengehalten wird. Unverzichtbar ist natürlich auch hier der Hut.
Während der Zeit, die ich bis jetzt hier lebe, habe ich den Eindruck erhalten, dass die Saraguros sehr stolz sind auf ihre andinen Traditionen und diese auf alle Fälle aufrecht erhalten wollen. Dazu gehört sowohl die Tracht, die Musik und das Essen, als auch die naturverbundene Lebensweise. Diese zeigt sich immer wieder zum Beispiel in verschiedenen Ritualen, den Naturheilmitteln und den andinen Anbaumethoden. Sehr wichtig ist natürlich auch die Sprache Kichwa. Eine meiner Meinung nach wunderschön und geheimnisvoll klingende Sprache, deren Grammatik und Wortlaut jedoch so sehr von allen mir bekannten Sprachen abweichen. Leider hat sich nun auch der einzige Sprachkurs in Saraguro aufgelöst, sodass es wirklich schwer ist Kichwa zu erlernen. Bis jetzt kann ich nur ein paar Begrüßungsfloskeln sprechen. Ab und zu gelingt es mir auch mir ein Wort merken, dass ich bei meiner Arbeit in der Schule aufschnappe. Das Centro Educativo Bilingüe Inti Raymi ist eine bilinguale Schule in der auch Kichwa unterrichtet und in den Schulalltag integriert wird. Auch werden viele kulturelle Projekte geplant und Schüler wie Lehrer tragen die Tracht als Schuluniform. Praktischerweise liegt die Schule direkt neben dem Haus meiner Familie, sodass sich mein Schulweg auf 10 Sekunden beschränkt. Mit meinen Kollegen Zoila und Samuel arbeite ich mit den jüngsten Schülern zusammen. Das sind etwa 35 Kinder im Alter von 3-5 Jahren, die sehr aufgeweckt und lebensfroh sind. Ich bin wirklich froh, in Inti Raymi arbeiten zu dürfen. Das Verhältnis der Schüler und Lehrer ist sehr freundschaftlich. So nennen sich Schüler und Lehrer gegenseitig “Mashi”, was Freund auf Kichwa bedeutet. Die Eltern sind verantwortlich für die Essenversorgung und auch das Verhältnis der Lehrer untereinander ist sehr kollegial und freundschaftlich. Nicht zu unrecht hat mir die Direktorin die Schule als Familie beschrieben. Auch durfte ich schon verschiedene Rituale, beispielsweise beim Elternabend oder den Lehrerkonferenzen, miterleben. Besonders in Erinnerung bleiben wird mir das Fest Kulla Raymi, das Mitte September statt fand. An jenem Tag sind wir mit den älteren Schülern und einem Festumzug mit Musikanten in eine der kleineren comunidades von Saraguro gewandert. Da ausgerechnet an diesem Tag die Sonne unerbittlich vom Himmel gebrannt hat, waren wir alle schon recht malad als wir am Zielort ankamen. Als dann beim Begrüβungsritual die Luft noch von allerlei Räucherwerk durchflutet wurde, hat sich mein Kreislauf kurzzeitig gänzlich verabschiedet. Da ich jedoch sofort von allen Seiten mit Wasser, Kopfmassage und einem Heilwässerchen versorgt wurde, konnte ich das Fest im Nu wieder in vollen Zügen genießen. Dies bedeutete ein mehrstündiges Festessen inklusive der symbolischen Übergabe von Unmengen an mitgebrachtem Essen an den Bürgermeister von Saraguro. All diese Feste und Rituale führen mir immer wieder vor Augen, dass es eine unglaubliches Privileg ist, meinen Freiwilligendienst hier leisten zu dürfen. Auch wenn, oder gerade weil es auch eine Herausforderung ist sich an all dies zu gewöhnen. Es fällt mir schwer das Leben hier zu beschreiben, dass sich in so vielen Dingen von dem unterscheidet was ich aus Deutschland gewohnt war. Ein Satz jedoch, den mein Gastvater einmal gesagt hat und der mir seitdem nicht mehr aus dem Kopf geht, scheint mir sehr eine sehr passende Beschreibung zu sein :“ la vida es más puro.“.
Liebe Grüße aus Saraguro und bis bald,
Laura
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Ein Weihnachten voller Farben, Tanz und Frohsinn (Dezember 2017)
Schon wieder scheint es mir als hätte sich jemand an den Zahnrädchen der Uhren zu schaffen
gemacht. Nun ist mein Kreuzchen im Kalender sogar schon in ein neues Jahr gerutscht. Nicht ganz unschuldig für die Verschiebung meines Zeitgefühls sind wahrscheinlich die zahlreichen Feierlichkeiten, die vor allem im Dezember ganz Saraguro erfüllt haben. Bestimmt trugen auch die Ausflüge, die wir an unseren freien Tagen machten, genauso wie der sich langsam einstellende Arbeitsalltag dazu bei.
Während meiner ersten Arbeitswochen in der Schule, war die Arbeit für mich unglaublich anstrengend. Die neue Umgebung, Sprache und Lebensweise sind auf mich eingeströmt. Gleichzeitig habe ich akribisch versucht die Arbeitsweise der Lehrer in Inti Raymi zu verstehen. So war mir zum Beispiel am Anfang nicht klar, wie ein normaler Schultag aufgebaut ist. Etwa wie sich die Kinder zu bestimmten Zeiten oder in verschiedenen Situationen zu verhalten haben. Auch die Art und Weise wie man Konflikte löst, Kinder auffordert etwas zu tun oder zu unterlassen oder wie man es schafft auf alle gleichzeitig ein Auge zu haben und trotzdem auch Aktivitäten und Arbeiten zu realisieren. Ich glaube in manchen Momenten hat mir tatsächlich der gute alte Regelkatalog oder der Leitfadenordner gefehlt, wie man ihn in Deutschland gerne gereicht bekommt. Ich vermisste eine klare Definition, was denn nun meine Aufgaben sind. Auch um selbst reflektieren zu können, ob ich denn alles richtig mache und wirklich eine Hilfe bin. Auf der abenteuerlichen Suche nach derartigen Anhaltspunkten, wurden meine Fragen leider oft unterschiedlich beantwortet, was meine Verwirrung schürte. Als ich jedoch versuchte, meine Denkweise nicht so darauf zu versteifen, begann ich mehr und mehr zu begreifen, dass die Arbeitsweise hier einfach anders funktioniert. Aber das Entscheidende ist, dass sie funktioniert. Da ich ja nun schon eine Weile hier bin und meine Kollegen immer besser kenne, fällt es mir immer leichter nicht mehr mit den Augen eines deutschen Lehrers, sondern mit denen eines Lehrers aus Saraguro zu schauen. Mir fällt auf, wie unheimlich aufgeweckt, wissbegierig und fröhlich die Kinder sind. Klar gibt es einige Kandidaten die unsere Nerven gerne mit üblen Streitereien oder abenteuerlichen Weglaufauaktionen auf die Probe stellen. Aber selbst die Unruhestifter habe ich inzwischen sehr ins Herz geschlossen und habe mich auch sehr gefreut, sie alle nach den Weihnachtsferien wieder zu sehen. In der Weihnachtszeit war in ganz Saraguro und somit natürlich auch in der Schule sehr viel los. Allerdings eher weniger der mir bekannte Adventstrubel mit Plätzchen backen und Geschenke basteln. Dafür aber kamen einige der Kinder schon jetzt stolz mit ihren Kostümen zur Schule, die sie an Weihnachten und dem Fest Kapak Raymi tragen würden. Da Kapak Raymi, eines der 4 wichtigen Feste, auch in der Schule groß gefeiert werden sollte, wurden schon Wochen vorher täglich auf dem Schulhof Tanzproben veranstaltet. Auch ein Elternabend fand speziell für die Planung des Festes statt. Dieser stellte sich jedoch zu meinem großen Vergnügen als eine Versteigerung der verschiedenen Aufgaben und benötigten Lebensmittel für das Festmahl dar. Die meisten Leute steuerten Gemüse aus ihrem Garten oder Geld zum Kauf einer Kuh bei. Da ich mit beidem nicht so gut dienen konnte, kam mir die Idee für den Vorschlag, einen Nachtisch zuzubereiten. Das führte zu großer Begeisterung und ehe ich mich versah, war ich dann mit der Aufgabe betraut worden, das Brot zu backen. Dass es sich dabei um nicht weniger als 300 kleine Brötchen handeln sollte, wurde mir erst im Nachhinein klar. Aber gesagt getan. Und es war letztendlich auch überhaupt kein Problem, da mir Linus, Alicia und Elisabeth aus Fundacion Mashi Pierre nicht nur ihren Ofen, sondern auch ihre Backfertigkeiten zur Verfügung stellen.
Als sich dann am Morgen von Kapak Raymi die Festgesellschaft zusammenfand, war ich erst einmal überwältigt von all den Farben die mir ins Auge sprangen. Der Schulhof mit bunten Bändern geschmückt, die leuchtenden Blumengestecke und auch die schönen Kostüme der Kinder. Wie es an Kapak Raymi und Weihnachten in Saraguro so üblich ist, verkleiden sich einige Jungs und Männer als „Wikis”. Dabei handelt es sich um eine Art sehr farbenfroh gekleideter Narr mit kunstvoll verzierter Stoffmaske und einem Accessoir um die Leute zu erschrecken. Da die Hauptaufgabe der Wikis neben dem Tanzen, das Streiche spielen ist, kann es schon einmal vorkommen, dass einem plötzlich ein Schafkopf auf den Kopf gesetzt wird oder man einen fetten Schmatzer abbekommt. Neben den Spaß verbreitenden Wikis gibt es noch die „Sarawis“, die für das Tanzen und Singen zuständig sind. Diese Posten werden nur von Kindern besetzt. Die mit bunten Tüchern verhängten Mädchen, werden aufwendig frisiert und mit allerlei Schmuck behängt. Auch tragen sie immer ein Körbchen bei sich, welches mit Blütenblättern bestückt ist. Die männlichen Tänzer tragen ebenfalls bunte Tücher und je nach Art des Tanzes der vorgeführt wird, eine bunte Maske oder einen Kopfschmuck aus Federn. In einem sehr farbenfrohen Umzug mit Musikanten vorneweg, ging es dann zum Hause des „Kapak“ (sozusagen der Chef der Comunidad Lagunas), wo wir mit einer kulinarischen Delikatesse begrüßt wurden, die ich in der Weihnachtszeit noch oft zu Gesicht bekommen sollte. Eine Rindersuppe „caldo” die meist mit Reis, „yuca” (eine Art Schwarzwurzel) oder „trigo” (gekochte Weizenkörnchen) gereicht wird. Für mich als Vegetarierin eigentlich nicht so ideal, allerdings sind mein Gastvater und ich inzwischen ein eingespieltes Team und er freut sich immer, wenn er den Fleischanteil aus meiner Portion auch noch verspeisen darf.
Nach Tanz, Gesang, Speis und Trank machte sich der Festumzug auf zum Hause des neu gewählten Kapak von Lagunas und von dort wieder zurück zur Schule. Dort angekommen wurden die von jeder Klasse einstudierten Tanz- oder Theatereinlagen von einem mehr oder weniger improvisierten Tanz der Lehrer inklusive mir eingeleitet. Während der Vorstellungen brodelten schon die Kessel und als dann zu Tisch gerufen wurde, begann ein Essensmarathon, der bis in die frühen Abendstunden kein Ende fand. Von caldo mit trigo über „mote” (gekochter Mais), „queso“ (eine Art Ricotta) yuca mit Kohl bis hin zu Reis mit „huarta” (Gulasch von den Innereien der Kuh) wurden riesige Portionen an alle Anwesenden verteilt. Zu guter Letzt wurde dann noch der für die Weihnachtsfeste übliche „miel” (Sirup vom Zuckerrohr) verteilt. Für diesen waren auch meine Brötchen bestimmt, die ich dann auf dem Schulhof verteilte. So endete dann das Schulfest, doch schon am nächsten Morgen fing die richtige Kapak Raymi Feier des Dorfes an. Zusammen mit den größeren Schülern zogen wir ins Zentrum von Saraguro, wo wir uns dem Festumzug nach „Ilincho“ anschlossen. Ilincho ist eine
Nachbarcomunidad von Lagunas und liegt auf einem Berglein, wovon man bei gutem Wetter eine herrliche Sicht auf Saraguro hat. Oben angekommen gab es wieder ein wirklich sehr schönes Tanzspektakel, Musik und natürlich Essen. Da wir schon seit den Morgenstunden auf den Beinen waren, verabschiedeten sich Samuel
und ich schon am Mittag. Eine kleine Pause tat sehr gut, da es am Abend / in der Nacht gleich mit einem Tanzwettbewerb verschiedener folklorischer Tanzgruppen und einem Konzert weiterging.
Eine Tradition, die auch in der Zeit von Kapak Raymi und Weihnachten durchgeführt wird, sind die „baños de purificación”. Ein reinigendes Ritual, welches in den frühen Morgenstunden stattfindet und von allen schlechten Energien befreien soll. Linus und ich hatten das Glück an zwei völlig verschiedenen „baños“ teilzunehmen. Das erste, ein kleines am Morgen vor Kapak Raymi mit meinen Kollegen aus der Schule, was für mich ein sehr eindrückliches Erlebnis war. Um 4 Uhr morgens trafen wir uns bei unglaublich tollem Sternenhimmel an einem kleinen Quell in Lagunas. Wir begannen mit einem kleinen Ritual mit viel Räucherwerk und durften uns dann alle nacheinander in dem kalten Wasser des Quells reinigen. Danach wurden wir dann noch mit einem Heilwasser von allen Seiten angepustet und eingeräuchert. Gegen die Kälte gab es zum Glück für jeden eine heiße Tasse Tee.
Manch einer mag nun den Eindruck haben, dass ich in den letzten 2 Monaten nur Weihnachten gefeiert habe. Das ist natürlich nicht der Fall. Allerdings war dieses Fest so außergewöhnlich, interessant und so vielseitig, dass ich unbedingt so viel wie möglich davon berichten wollte.
Ein frohes neues Jahr und ganz viele und liebe Grüße aus Saraguro
Laura